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Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip Gesundheitserziehung

GZ 27.909/115-V/3/96
Sachbearbeiterin:
Dr.in Beatrix HALLER
Klappe: 2533
Fax: 2599

Rundschreiben Nr. 7/1997 (BMBWF)

Verteiler: VII/2
Sachgebiet: Unterrichtsprinzipien
Inhalt: Gesundheitserziehung
Geltung: unbefristet

Grundsatzerlaß Gesundheitserziehung

1 Allgemeines

1.1. Einleitung

Schulische Gesundheitsförderung umfaßt nicht nur die Information über Gesundheitsthemen und das Einwirken auf das Verhalten des Einzelnen, sondern auch die Gestaltung eines gesundheitsfördernden Lebensraumes.

Gesundheitsförderung steht somit für ein neues und erweitertes Konzept, das in gleicher Weise die körperliche und geistige sowie die soziale Gesundheit betont. Der Begriff der "sozialen Gesundheit" verweist aber nicht nur auf die Beziehungen zu anderen Personen, sondern auch auf den Einfluß, den soziale Organisationen, wie Schulen als unmittelbare Lebenswelt haben.

Die "Gesundheitsfördernde Schule" entfaltet eine umfassende Betrachtungsweise von Schule als Lebens- und Erfahrungsraum. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen. Ganzheitliche Gesundheitsförderung bezieht sich auf die gegebene Realsituation vor Ort mit ihren Entwicklungschancen, Schwierigkeiten und Grenzen und nicht auf eine erwünschte Idealsituation.

Das Konzept der "Gesundheitsfördernden Schule" entstand Ende der 80er Jahre im Zusammenhang mit einer gesundheitspolitischen Neuorientierung der Weltgesundheitsorganisation. Ausgangspunkt war die 1986 verabschiedet "Ottawa Chartazur Gesundheitsförderung".

Dieses Programm der "Gesundheitsfördernden Schule" wurde im Rahmen eines internationalen Netzwerkes der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Europarates (ER) und der Europäischen Union (EU) von 1993-1996 in Pilotschulen erprobt und erfolgreich umgesetzt. Die dabei erzielten Erfahrungen prägen den vorliegenden Grundsatzerlaß.

1.2. Aufgaben

Laut § 2 (1) SchOrgG und § 17 SchUG ist es die Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung ihrer Anlagen im allgemeinen und in ihrer gesamten Persönlichkeit zu fördern.

Kinder und Jugendliche, aber auch LehrInnen sind am Lebens- und Lernort Schule vielfältigen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt wie z. B. schulischem und beruflichem Leistungsdruck, sozialem Anpassungs- und Konsumdruck, Bewegungsmangel,einseitiger Ernährung, Kommunikations- und Beziehungsproblemen, Ausgrenzung als soziale oder ethnische Minderheit.

Die traditionelle Form der Gesundheitserziehung zielt darauf ab, durch verstärkte Information und Aufklärung über riskante Verhaltensfaktoren z. B. Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinmißbrauch, einseitige Ernährung eine individuelle Verhaltensänderung zu bewirken. Das Konzept der Gesundheitsförderung stellt die Verantwortung des Einzelnen für sich selbst und für die Gesellschaft in den Mittelpunkt.Gesundheit wird von den Menschen in ihrem alltäglichen Arbeits- und Lernumfeld geschaffen und gelebt.

Die neue Qualität der Gesundheitsförderung liegt daher einerseits in einem erweiterten Gesundheitsverständnis, d. h. es berücksichtigt die physische, psychische und soziale Gesundheit, und andererseits auch in der Schaffung eines gesundheitsfördernden Arbeits- und Lernumfeldes.

Schulische Gesundheitsförderung ist daher zentraler Bestandteil jeglichen pädagogischen Handelns und sie ist in allen Schularten und Unterrichtsgegenständen zu verwirklichen.

1.3. Zielsetzungen

Vorrangige Ziele der Gesundheitsförderung sind:

  • Gestaltung der Schule als gesundheitsförderliche Lebenswelt unter Einbeziehung aller im schulische Alltag beteiligten Personen
  • Förderung persönlicher Kompetenzen und Leistungspotentiale der Schülerinnen und Schüler in Hinblick auf gesundheitsbewußtes, eigenverantwortliches Handeln und Wissen
  • Vernetzung von Schule und regionalem Umfeld
  • Förderung von kommunikativen und kooperativen Kompetenzen der LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen sowie der Kommunikationsstrukturen zwischen LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern
  • Dokumentation und Verbreitung innovativer Projekte und Maßnahmen

1.4. Grundlagen für die Gesundheitsförderung in Schulen

1.4.1. Lehrpläne

In der Grundschule findet Gesundheitsförderung eine schwerpunktorientierte Beachtung in den Lehrplänen für die Unterrichtsgegenstände Sachunterricht und Leibesübungen. An den Hauptschulen, allgemeinbildenden höheren Schulen und Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik und für Sozialpädagogik sind Inhalte der Gesundheitserziehung ein wesentlicher Bestandteil der Unterrichtsgegenstände Biologie und Umweltkunde, Hauswirtschaft und Ernährung, Haushaltsökonomie und Ernährung, Leibesübungen, Psychologie, Pädagogik, Gesundheitslehre und Werkerziehung.

Weiters bietet die Unverbindliche Übung "Interessen- und Begabungsförderung" an Volkschulen und Hauptschulen die Möglichkeit zur Gesundheitsförderung.

Im Polytechnischen Lehrgang bilden Gesundheitslehre, Lebenskunde, Leibesübungen sowie zusätzliche alternative Pflichtgegenstände wie Hauswirtschaft und Kinderpflege, erweiterte Gesundheitslehre und Werkerziehung (Schwerpunkt B: textiler Bereich-Wohnen) eigene Unterrichtsgegenstände.

Im berufsbildenden Schulwesen werden Inhalte der Gesundheitserziehung im Rahmen von Pflichtgegenständen (Kernbereich und Erweiterungsbereich) z. B. in Biologie und Ökologie, Ernährung und Leibesübungen behandelt.

Gesundheitserziehung ist als Unterrichtsprinzip in den Lehrplänen der allgemeinbildenden Schulen, der Berufschulen, der Handelsakademien- und Handelsschulen, der Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe und der Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik und für Sozialpädagogik verankert. Das Unterrichtsprinzip soll nicht eine Vermehrung des Lehrstoffs bewirken, sondern zu einer besseren Koordination und überlegteren Auswahl des im Lehrplan festgelegten Lehrstoffes beitragen.

Durch schulautonome Lehrplanbestimmungen können zusätzliche Schwerpunkte in Form von Freigegenständen und unverbindlichen Übungen festgelegt werden.

1.4.2. Schulautonomie

Beginnend mit dem Schuljahr 1993/94 hat die Schulautonomie Eingang in die Schulgesetze gefunden. Die Schulautonomie eröffnet und erweitert die Handlungsspielräume der einzelnen Schulen.

Die Lehrplanautonomie erleichtert den einzelnen Schulen beispielsweise:

  • die inhaltliche Profil- oder Schwerpunktbildung
  • die Anwendung neuer Lern- und Arbeitsformen (z. B. offene Lernformen, Projektunterricht)
  • eine flexiblere Lernorganisation (z. B. Teilung einer Klasse in Kleingruppen, Blockung von Unterrichtsstunden)

Im Rahmen der zunehmenden Schulautonomie bietet die Gesundheitsförderung auch Anregungen für die Gestaltung des Schulprofils oder für Schwerpunktsetzungen.

2 Umsetzung

2.1. Schule als Arbeitsplatz und Lebensraum

In Zusammenarbeit aller Beteiligten soll die räumliche Gestaltung der Schule, der Klassenzimmer und der Umfeldbedingungen so vorgenommen werden, daß sie den tatsächlichen Bedürfnissen sowie den Arbeits- und Tagesrhythmen der LehrerInnen und SchülerInnen entspricht. Hier geht es z. B. um die Gestaltung von Klassenzimmern, Gängen, Aufenthaltsräumen, Außenanlagen, um Verbesserungen der Versorgungseinrichtungen wie Beleuchtung, Belüftung, ökologische Reinigung der Schulräume, Müllvermeidung, Mülltrennung, Müllentsorgung.

Auch die Verfügbarkeit von Bewegungs-, Spiel- und Anregungsmaterial während der Pausen, die Gestaltung des Eingangsbereiches u. v. m. sind geeignet, die Schule als Arbeitsplatz und Lebensraum gesundheitsfördernd zu gestalten.

2.2. Vernetzung verschiedener Lebenswelten

Die Schule als relevante Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler allein kann das Gesundheitsverhalten nicht maßgeblich verändern. Für ein gesundheitsbewußtes und eigenverantwortliches Handeln der Schülerinnen und Schüler haben die Vorbildwirkung der Eltern, Geschwister, LehrerInnen und insbesondere auch Gruppenprozesse (z. B. das Umgehen mit Freunden und Eltern, Konflikte) besondere Bedeutung.

Rollenspiele, Stegreifstücke oder Zeichenspiele können Schülerinnen und Schüler helfen u. a. mit Gruppendruck selbstbewußt umzugehen, bei Konflikten in der Klasse, im Freundeskreis und der Familie gemeinsame Lösungsstrategien zu erarbeiten und Probleme zu bereinigen. Themen sind z.B. "Ein Konflikt in der Pause", "Wie streite ich?", "Wie löse ich Konflikte?" oder auch Situationen, in denen gesundheitsschädliches Verhalten sichtbar wird.

Die gute Zusammenarbeit mit den Eltern und auch mit außerschulischen ExpertInnen ist eine weitere Stärke einer "Gesunden Schule".

Dazu gehören z. B. Elternabende, die unter ein "gesundheitsbezogenes Leitthema" gestellt werden und regelmäßige Information der Eltern (durch Klassenzeitungen etc.) ebenso wie Kooperationen mit der/dem Schulärztin/Schularzt,SchulpsychologInnen, außerschulischen Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Gemeinde, mit Vereinen und mit Partnerschulen.

2.3. Soziale Schulkultur

Der Begriff "Soziale Schulkultur" bezieht sich auf die Qualität der Kommunikation, Kooperation und Entscheidungsfindung in der Schule.

Bei der Gestaltung einer guten sozialen Schulkultur geht es um die Förderung des Selbstwertgefühles und der Selbstständigkeit von SchülerInnen und LehrerInnen, guter sozialer Beziehungen aller Beteiligten und eines konstruktiven Umganges mit Schulstreß. Das kann z. B. durch die gemeinsame Formulierung der Hausordnung durch die Schulgemeinschaft, Partizipation von SchülerInnen und LehrerInnen in Entscheidungsprozessen, Transparenz der Entscheidungsstrukturen, um die Verantwortung der Beteiligten aber auch ihre Einwirkungsmöglichkeiten im schulischen Alltag zu erhöhen, und durch die Berücksichtigung von Gesundheitskriterien bei alltäglichen Entscheidungen geschehen.

Schule als Ort des sozialen Wohlbefindens soll Individualität und Eigentätigkeit aller am Schulalltag Beteiligten zulassen und fördern.

Ein positives soziales Schulklima ist eine wichtige Voraussetzung für die Zusammenarbeit von SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern, Schulärzten, SchulpsychologInnen und außerschulischen ExpertInnen.

2.4. Zusammenarbeit/Team

Gesundheitsförderung erfordert systematische (fächer- und klassenübergreifende) Zusammenarbeit der LehrerInnen innerhalb jeder Schule, Austausch von Arbeitsmaterialien und Ideen und fixe Termine für Planung und Vorbereitung.

Die Einrichtung eines Projektteams ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, um diese Zusammenarbeit effektiv zu gestalten. Es sind auch Strukturen und Netzwerke erforderlich, die die Diskussion und Reflexion über Projekte, geplante Aktivitäten im Bereich der Gesundheitsförderung ermöglichen. So sollte bereits bei der Stundenplanerstellung auf gleichzeitige unterrichtsfreie Zeit der Teammitglieder geachtet werden. Ein "gut eingespieltes Team" kann das Engagement weiterer Kolleginnen und Kollegen bedeutsam stimulieren.

Schulleitung und LehrInnen sollten unter Einbindung von SchülerInnen und Eltern in einem ersten Schritt gemeinsam konkrete Zielsetzungen ihrer gesundheitsförderdernden Aktivitäten erarbeiten. In einem zweiten Schritt kann die konkrete Arbeit in und außerhalb des Klassenzimmers unter Nützung lokaler und regionaler Ressourcen beginnen.

Ohne offensive Unterstützung durch die Schulleitung können schulinterne Veränderungsprozesse kaum in Gang gesetzt werden. Die Aufgabe der Schulleitung wird es sein, alle LehrerInnen und SchülerInnen in ihrer Innovationsbereitschaft zu unterstützen und flexible organisatorische Rahmenbedingungen durch einvernehmliche Absprachen mit den Beteiligten und unter Berücksichtigung der regionalen Möglichkeiten zu schaffen.

2.5. Unterrichtsformen

Die Methoden des Projektunterrichtes und des ganzheitlich-kreativen Arbeitens dienen der Gesundheitsförderung, indem sie eine individuelle Lern- und Arbeitskultur fördern.

Bei der Arbeit an Projekten wirken unterschiedliche organisatorische Einheiten, Gruppen und Personen im Interesse eines gemeinsamen Zieles zusammen. Damit wird interdisziplinär, klassenübergreifende und auch schulübergreifende Zusammenarbeit möglich.

Zur "Herstellung von Wirklichkeitsbezügen", Förderung" Sozialer Interaktion" und "Partizipation" sind unterschiedlichste Lernformen geeignet z. B. Soziales Lernen, projektorientiertes Lernen, Erstunterrichtsmethode, peer-teaching (SchülerInnen betreuen SchülerInnen), offene Lernformen, vernetztes Lernen etc.

2.6. Schulinterne Fortbildung

Schulinterne Fortbildung hat in der Gesundheitsförderung eine große Bedeutung, wenn sie als schulstandort- und bedürfnisorientiertes Instrumentarium zur Entwicklung von neuen Strategien genutzt wird. Schulinterne Fortbildungen sollten gemeinsam mit ExpertInnen zu verschiedenen Themen wie z.B. Teambildung, Konfliktbewältigung, Projektmanagement, Dokumentation aber auch zu gesundheitsbezogenen Themen wie z. B. Streß, Einsatz von Sitzbällen, Gesunde Ernährung, u. v. m. durchgeführt werden.

2.7. Öffentlichkeitsarbeit

Um die erworbenen Erfahrungen nachhaltig für alle Beteiligten nutzbar zu machen, sind systematische Reflexion und Dokumentation notwendig.

Es wird empfohlen, Dokumentationen und Studien von Aktivitäten und Unterrichtsprojekten zu erabeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jede gelungene Präsentation ist ein Erfolgserlebnis für die Beteiligten, fördert die Aktzeptanz und das Interesse für weitere Vorhaben, stärkt das berufliche Selbstbewußtsein der Lehrerinnen und Lehrer und die Motivation der Schülerinnen und Schüler.

Öffentlichkeitsarbeit soll auch der Vernetzung der Aktivitäten unterschiedlicher schulischer und außerschulischer Intitiativen und dem Informations- und Erfahrungsaustausch dienen.

Im Interesse einer effektiven Umsetzung des Unterrichsprinzipes Gesundheitserziehung in den österreichischen Schulen werden die Landesschulräte und der Stadtschulrat ersucht, auf der Grundlage des Grundsatzerlasses Gesundheitserziehung einschlägige Schwerpunkte im Bereich der LehrerInnenfortbildung anzubieten sowie verstärkt auch auf die Möglichkeit von schulinternen Fortbildungen hinzuweisen.

Zur finanziellen Unterstützung dieser Initiativen wurde im Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten der Umwelt- und Gesundheitsbildungsfonds eingerichtet.

Für die bisher im Bereich der Gesundheitserziehung geleistete Arbeit wird allen Beteiligten gedankt.

Dieser Erlaß wird im Ministerialverordnungsblatt veröffentlicht werden.

Wien, 4. März 1997

Die Bundesministerin:
Gehrer

Zugeordnete/s Sachgebiet/e

Unterrichtsprinzipien