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Richtlinien für den Umgang mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) im schulischen Kontext

2020-0.580.909
BMBWF - I/2 (Schulpsychologie-Bildungsberatung, Gesundheitsförderung, Unterstützungssysteme)
Mag.a Dr.in Beatrix Haller
Sachbearbeiterin

T +43 1 53120-2533
Minoritenplatz 5
1010 Wien

Rundschreiben Nr. 24/2021 (BMBWF)

Verteiler: N
Sachgebiet: Pädagogische Angelegenheiten
Inhalt: Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten,
Lese-/Rechtschreibschwäche,
Lese-/Rechtschreibstörung, Leistungsbeurteilung
Geltung: unbefristet
Angesprochener Personenkreis: Schulaufsicht, Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer

Chancengerechtigkeit und Durchlässigkeit sind wichtige Zielsetzungen im österreichischen Schulsystem. Vorliegende Richtlinien geben die Möglichkeit, alle Schülerinnen und Schüler mit auffallenden Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten zu unterstützen. Der Begriff
Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten umfasst sowohl die Lese-/Rechtschreibschwäche als auch die Lese-/Rechtschreibstörung nach WHO-Definition ICD-10.

Die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit spezifischen Lernschwierigkeiten ist ein Grundanliegen der Schule. Die Sicherung des Schriftspracherwerbs ist dabei im Sinne einer verlässlichen Förderung von zentraler Bedeutung. Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten sind ernst zu nehmen, die Nichtberücksichtigung kann sich nachteilig z.B. durch frühzeitigen Schulabbruch auf die Bildungslaufbahn und auf die Lebensgestaltung der Schülerinnen und Schüler auswirken. Wenn daher die Leistungen im Schriftspracherwerb unter dem Vergleichsniveau der jeweiligen Leistungs- bzw. Altersstufe liegen oder sich gravierende Schwächen beim Erfassen, Verarbeiten oder Wiedergeben von Informationen zeigen, dann muss die Schule darauf reagieren.

1. Allgemeine Fördermaßnahmen

Schülerinnen und Schüler mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten benötigen eine möglichst frühzeitig einsetzende symptomspezifische Förderung, die direkt am Lese- bzw. Schreibprozess ansetzt. Zentral für die Verbesserung der Situation von Schülerinnen und Schülern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten ist die frühzeitige Identifikation der individuellen Problematik durch die Lehrkräfte. Im schulischen Kontext werden die Fördermaßnahmen nicht auf Kinder und Jugendliche mit klinisch-psychologischer Diagnose eingegrenzt, sondern alle Schülerinnen und Schüler mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten werden in entsprechende Fördermaßnahmen im Rahmen des Unterrichts eingebunden. Hilfreiche Unterlagen gibt es als Download auf der Homepage www.schulpsychologie.at/lrs.

Hilfestellungen für Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-/ Rechtschreibschwierigkeit, sollten im Sinne der Individualisierung und Differenzierung auf Basis der gesetzlichen Grundlagen ausgeschöpft werden, die nachstehend aufgelistet werden.

  • Besonders in Stress- und Prüfungssituationen oder nach längeren Übungspausen tauchen Fehler wieder auf, die in entspannten Übungssituationen bereits überwunden schienen. Die Stärken der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt zu stellen, Rückmeldungen über ihren Leistungsstand und die Art der Fehler sowie das Aufzeigen des bereits Erreichten wirken dem ohnehin erhöhten Stress von Schülerinnen und Schülern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten entgegen. Das Feedback der Lehrkraft über die individuellen Verbesserungen steigert darüber hinaus das Selbstvertrauen und die Motivation.
  • Bei Schülerinnen und Schülern mit Leseschwierigkeiten ist darauf zu achten, dass die Angaben im Rahmen von Leistungsfeststellungen in einer der Lesefertigkeit angemessenen Schriftgröße und Übersichtlichkeit (Schriftlayout) gestaltet werden. Weiters kann es im Einzelfall sinnvoll sein, Hilfsmittel wie ein Leselineal einzusetzen, die Angabe vorzulesen oder Audioaufnahmen der Angabe zur Verfügung zu stellen. Im Sinne eines sprachsensiblen Unterrichts sollte berücksichtigt werden, dass Schülerinnen und Schüler mit Leseschwierigkeiten durch sprachlich sehr komplexe Angaben überfordert sein können. Insofern sollte auf klare und gut verständliche Formulierungen geachtet werden.
  • Schülerinnen und Schüler mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten finden im Pflichtgegenstand Deutsch sowie in den lebenden Fremdsprachen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung eine Berücksichtigung (§ 3 Abs. 2 LBVO), indem die Rahmenbedingungen bei Leistungsfeststellungen entsprechend angepasst werden z.B. Arbeit am Computer: vorgesehen sind ein Textverarbeitungsprogramm, die Nutzung einer elektronischen Korrekturhilfe und ein elektronisches Wörterbuch;
    Hörverstehen: Pausieren/Unterbrechen der Audiodateien (auch selbstgesteuert)
    1-2 zusätzliche Hörphasen

Welche Hilfestellung notwendig ist, vereinbaren die Lehrkraft gemeinsam mit speziell ausgebildeten Fachlehrkräften und der Schulleitung und ist abhängig von der individuellen Situation der Schülerin oder des Schülers. Die individuellen Unterstützungsmaßnahmen sollen dokumentiert und regelmäßig evaluiert werden, sodass eine Anpassung vorgenommen werden kann. Die notwendigen Hilfestellungen, die im Schulalltag zum Einsatz kommen, sind auch bei den (abschließenden) Prüfungen anzuwenden. Der schulpsychologische Dienst kann beratend beigezogen werden.

2. Leistungsbeurteilung bei Lese-/Rechtschreibschwäche

Es sind bei Lese-/Rechtschreibschwäche die für alle Schülerinnen und Schüler geltenden gesetzlichen Bestimmungen der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung grundsätzlich anzuwenden (siehe §§ 18, 20, 38 Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 472/1986, und Leistungsbeurteilungsverordnung, BGBl. Nr. 371/1974 jeweils idgF.).

Die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Unterrichtsgegenstandes muss grundsätzlich erreicht werden. Bei der Leistungsfeststellung ist auch zu beachten, dass in den Lehrplänen der Pflichtgegenstände Deutsch und der Lebenden Fremdsprachen folgende Bereiche zu berücksichtigen sind:

Volksschule – Sprechen, Lesen, Verfassen von Texten, Rechtschreiben, Sprachbetrachtung

Lehrpläne der Sekundarstufe I – Sprechen, Schreiben, Lesen und Textbetrachtung, Sprachbetrachtung und Sprachübung. Es wird in der Bildungs- und Lehraufgabe ausdrücklich betont, dass es sich um gleichwertige Lernbereiche handelt.

Lehrpläne der Sekundarstufe II – mündliche und schriftliche Kompetenz, Textkompetenz, literarische und Mediale Bildung

Alle in § 3 LBVO angeführten Formen der Leistungsfeststellung (Mitarbeit, mündliche Leistungsfeststellungen, schriftliche Leistungsfeststellungen, praktische und graphische Leistungsfeststellungen) für Pflichtschulen sowie mittleren und höheren Schulen sind zu berücksichtigen und deren Einsatz ist als grundsätzlich gleichwertig anzusehen (Abs. 5). Daraus ergibt sich, dass schriftliche Leistungsfeststellungen nie für sich alleine die Grundlage einer Semester- bzw. Jahresbeurteilung sein dürfen (Abs. 3).

Im § 16 der LBVO werden fachliche Aspekte für die Beurteilung von Schularbeiten angegeben. Für die Beurteilung in den Unterrichtsgegenständen Deutsch und den Lebenden Fremdsprachen sind (zusammengefasst) die fachlichen Aspekte

  • Aufbau und Inhalt,
  • Ausdruck und Wortschatz,
  • Sprachrichtigkeit und
  • Schreibrichtigkeit

angegeben. Schularbeiten und andere schriftliche Leistungsfeststellungen dürfen daher nicht ausschließlich nach Art und Anzahl der Rechtschreibfehler beurteilt werden.

Sowohl aus den Lehrplanbestimmungen als auch aus der Verordnung über die Leistungsbeurteilung ergibt sich somit, dass der Gesichtspunkt der Schreibrichtigkeit keinesfalls die einzige Grundlage der Leistungsbeurteilung sein darf.

Verstöße im Bereich der Rechtschreibung (sowie der Grammatik) sind Fehlerkategorien zuzuordnen. Identische Fehler sind dabei nur einmal zu werten (§ 15 Abs. 3 LBVO). Dadurch soll erreicht werden, dass Schülerinnen und Schüler mit Rechtschreibschwäche sich auf die Verbesserung einzelner Fehlerarten konzentrieren können.

Bei der Leistungsbeurteilung sind dem zuletzt erreichten Leistungsstand das größere Gewicht zuzumessen (§ 20 Abs. 1 LBVO). Dadurch fließen auch individuelle Verbesserungen der Schülerin oder des Schülers in die Beurteilung ein.

In anderen Unterrichtsfächern als im Unterrichtsgegenstand Deutsch und in den Lebenden Fremdsprachen haben das Lese- und das Rechtschreibvermögen der Schülerin oder des Schülers keinen Einfluss auf die Notengebung.

3. Lese-/Rechtschreibstörung

a) Feststellung

Eine Lese-/Rechtschreibstörung ist von einer bloßen Schwäche des Lese- und Rechtschreibvermögens abzugrenzen. Zur Abklärung der Diagnose einer
Lese-/Rechtschreibstörung nach ICD-10 oder der AWMF-S3-Leitlinie müssen altersentsprechende, testtheoretisch fundierte Instrumente entsprechend diesen wissenschaftlichen Leitlinien eingesetzt werden, die einen Vergleich der Leistung mit einer Normierungsstichprobe erlauben. Die Feststellung einer Lese-/Rechtschreibstörung nach ICD-10- oder der AWMF-S3-Leitlinie darf nur durch eine klinische Psychologin/einen klinischen Psychologen (GZ 33.543/3-I/8/2017) bzw. ein ärztliches Gutachten erfolgen. Bei Bedarf kann der schulpsychologische Dienst beigezogen werden.

Bei Vorliegen einer Lese-/Rechtschreibstörung sind die notwendigen pädagogischen Hilfestellungen und symptomspezifischen Fördermaßnahmen in der Schule umzusetzen.

b) Leistungsbeurteilung

Bei nachweislich vorliegender umschriebener Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten, die im Sinne des ICD-10 oder AWMF-S 3 das Erlernen und Anwenden der Rechtschreibung beeinträchtigten, ist § 18 Abs. 6 des Schulunterrichtsgesetzes bzw. § 2 Abs. 4 und § 11 Abs. 8 LBVO anzuwenden. Bei dieser schwerwiegenden Form kann von einer Körperbehinderung im Sinne des Gesetzes gesprochen werden.

Danach sind diese Schülerinnen und Schüler unter Bedachtnahme auf den wegen der Beeinträchtigung erreichbaren Stand des Unterrichtserfolges zu beurteilen, wobei die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Unterrichtsgegenstandes grundsätzlich erreicht werden muss.

Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-/Rechtschreibstörung kann zusätzlich zu den unter ad 1) angeführten allgemeinem Fördermaßnahmen ein Zeitzuschlag gewährt werden. Welche konkrete Zeitzugabe angemessen bzw. erforderlich ist, liegt im pädagogischem Ermessen.

Rechtschreibfehler, die auf einer Lese-/Rechtschreibstörung basieren, können bei der Leistungsbeurteilung im Unterrichtsgegenstand Deutsch bzw. in Fremdsprachen ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben.

Es besteht kein Einwand, dass Schülerinnen und Schülern bei der Leistungserbringung bei schriftlichen Arbeiten zeitgemäße Hilfsmittel zur Überprüfung der Schreibrichtigkeit zur Verfügung gestellt werden (z.B. Verfassen der Arbeit am PC: vorgesehen sind ein Textverarbeitungsprogramm, die Nutzung einer elektronischen Korrekturhilfe und ein Online-Wörterbuch).

Relevante Hilfestellungen für Schülerinnen und Schüler mit LRS bei der standardisierten Reifeprüfung (SRDP)

Details siehe „Angemessene Vorkehrungen am Prüfungsstandort bei der SRDP/BRP/Externistenreifeprüfung bzw. sonstigen abschließenden Prüfungen“,
Zl. 2020-0.561.468 (BMBWF/AHS allgemein).

Die Prüfungsordnungen sehen vor, dass die Rahmenbedingungen bei der abschließenden Prüfung für Personen mit besonderen Bedürfnissen entsprechend anzupassen sind:

§ 3 Abs. 4 Prüfungsordnung AHS, § 3 Abs. 4 Prüfungsordnung BMHS,
§ 3 Abs. 3 Prüfungsordnung AHS-B, § 3 Abs. 4 Prüfungsordnung Kollegs und Sonderformen für Berufstätige an BMHS:

Im Falle einer Beeinträchtigung durch eine Körper- oder Sinnesbehinderung, die geeignet ist, das Prüfungsergebnis zu beeinflussen, sind durch die Vorsitzende oder den Vorsitzenden Vorkehrungen im organisatorischen Ablauf und in der Durchführung der abschließenden Prüfung festzulegen, die ohne Änderung des Anforderungsniveaus eine nach Möglichkeit barrierefreie Ablegung der Prüfung durch die betreffende Prüfungskandidatin oder den betreffenden Prüfungskandidaten ermöglichen. Die Schulleiterin oder der Schulleiter hat die erforderlichen Veranlassungen zu treffen.

Wurde im Schulalltag eine Lese-/Rechtschreibschwäche oder Lese-/Rechtschreibstörung festgestellt und entsprechend berücksichtigt, so gilt dies auch für die SRDP. Relevante Hilfestellungen, die im Schulalltag zum Einsatz kamen, sind auch bei der SRDP anzuwenden. Es ist grundsätzlich kein gesondertes (neues) Gutachten für die SRDP nötig; ein solches kann aber im Zweifelsfall eingefordert werden.

Gutachten für die Berufsreifeprüfung (BRP) bzw. Externistenreifeprüfung:

Bei einer Prüfungskandidatin bzw. einem Prüfungskandidaten mit einer Lese-/Rechtschreibstörung können die Rahmenbedingungen bei der BRP bzw. Externistenreifeprüfung angepasst werden. Ein klinisch-psychologisches Gutachten über das Vorliegen der Lese- und Rechtschreibstörung nach ICD-10- bzw. AWMF-S3-Leitlinie ist beizubringen. Über die Anpassungen im organisatorischen Ablauf und in der Durchführung der abschließenden Prüfung entscheidet die Vorsitzende oder der Vorsitzende.

Das Rundschreiben Nr. 32/2001 tritt hiermit außer Kraft.

Hilfreiche Unterlagen als Download
http://www.schulpsychologie.at/lernen-lernerfolg

„Der schulische Umgang mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche“
http://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/lernen_leistung/Legasthenie/LRS_Handreichung.pdf

„Evidenzbasierte LRS-Förderung“
http://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/lernen_leistung/Legasthenie/evidenzbas_LRS.pdf

Wien, 20. Oktober 2021

Für den Bundesminister:
SektChefin Doris Wagner, BEd MEd

Zugeordnete/s Sachgebiet/e

Pädagogische Angelegenheiten