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Grundsatzerlass Medienbildung, Aktualisierung, Information der Schulen

2022-0.318.453
BMBWF - Präs/15a (Medienbildung)
Mag.a Martina Sochor
Sachbearbeiterin

+43 1 531 20-2350
Minoritenplatz 5, 1010 Wien

Rundschreiben Nr. 12/2022 (BMBWF)

Titel: Grundsatzerlass Medienbildung, Aktualisierung, Information der Schulen
Rundschreiben Nr.: 12/2022
Sachgebiet: Unterrichtsprinzipien
Verteilerkreis: alle österreichischen Schulen
Personenkreis: Direktor/innen und Pädagog/innen
Geltung: unbefristet
Rechtsgrundlage: SchoG, Lehrpläne
Kernaussagen/Ziele: Anpassung des Grundsatzerlasses Medienbildung an die Anforderungen der Digitalisierung und die Einführung des Unterrichtsgegenstandes Digitale Grundbildung
Ort und Zeitpunkt der Genehmigung: Wien, 3. Jänner 2024
Veröffentlichende Stelle: BMBWF

Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Kommunikation und das Medienverhalten insbesondere der jungen Menschen. Es ist daher notwendig, die Medienbildung an die aktuellen Bedingungen anzupassen und die Schüler/innen mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten. Dem wird mit der Neufassung des Grundsatzerlasses Medienbildung Rechnung getragen.

Grundsatzerlass Medienbildung

Das Ausmaß der Digitalisierung unserer Kultur und Infrastruktur zeigt, dass wir bereits den Übergang von einer „digitalisierten“ zu einer „postdigitalen“ 1 Gesellschaft vollzogen haben. Digitale Medien und Technologien sind so mit unserem Leben verwoben, dass sie eher durch ihre Ab- als durch ihre Anwesenheit auffallen und die Übernahme von Konventionen aus digitalen Communities in nichtdigitale Lebens-, Alltags- und Handlungsbereiche hat diese zum Teil gravierend verändert 2.

Dies fordert von uns eine Anpassung der schulischen Medienbildung und die verstärkte Förderung entsprechender Kompetenzen bei allen Schülerinnen und Schülern. Dass mit dem Pflichtgegenstand „Digitale Grundbildung“ 3 ein eigener Lernbereich geschaffen wurde, bedeutet nicht, dass für andere Unterrichtsfächer keine Notwendigkeit mehr besteht, ihren Teil zur Medienbildung beizusteuern 4. Um Schulen und Lehrpersonen dabei bestmöglich zu unterstützen, enthält die Neufassung des Grundsatzerlasses Medienbildung nicht nur Verweise auf zugrundeliegende österreichische, europäische und internationale Rechtsgrundlagen, sondern auch Definitionen mehrdeutiger, bzw. unscharfer Begriffe und pädagogische, methodisch-didaktische und fachliche Konzepte für die Implementierung in der Schule.

Grundsätzliches zur Medienbildung

Als Teil von Medienpädagogik 5 befasst sich Medienbildung mit der Praxis aller bildungsrelevanten Aktivitäten mit und über Medien und ist „auf Seiten der ‚Bildner(innen)‘mit Aufgaben der Anregung, Unterstützung und Förderung verbunden“ 6.

§ 2 des Schulorganisationsgesetzes hält fest, dass Schule die Aufgabe hat, Kinder und Jugendliche mit dem für das Leben erforderliche Wissen und Können auszustatten und sie zum selbsttätigen Wissens- und Bildungserwerb zu befähigen 7. Im Kontext von Medienbildung bedeutet das, aktuelle Medienphänomene und technologische Entwicklungen auf reflexive, analytische und praktische Weise mit den Schülerinnen und Schülern im Unterricht zu behandeln und sie je nach Möglichkeit und Eignung auch für die eigene Unterrichtspraxis zu adaptieren (mehr dazu im Abschnitt „Leitlinien“).

Durch das allmähliche Verschwinden von redigierten Massenmedien und ihre Ablösung durch kollektiv gestaltete soziale Medien und mittels Algorithmen kuratierter, homogen konstituierter Blasen nimmt die ohnehin große Bedeutung von Medien für die Meinungsbildung und Informationsbeschaffung noch zu. Medienbildung trägt zur Umsetzung von europäischen und internationalen Bildungszielen bei, indem alle Kinder und Jugendliche befähigt werden sollen, digitale Informationen und Medienhalte abzurufen, zu analysieren, kritisch zu bewerten und zur Meinungsbildung heranzuziehen 8. Dies bildet die Grundlage für aktive Partizipation an politischen, kulturellen und ökonomischen Prozessen in der Gesellschaft 9 und für die Ausübung des Menschrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit 10. Darüber hinaus sollen Kinder und Jugendliche auch die Möglichkeit erhalten, „Einstellungen und Werte [zu] entwickeln, von denen sie sich zu ethischem und verantwortungsvollem Handeln leiten lassen können“ 11.

Viele der Begriffe und Konzepte, die in den Diskursen über Digitalisierung, Medien und Technologie verwendet werden, sind trotz ihres extensiven Gebrauchs nicht eindeutig definiert und werden oft synonym verwendet. Der Begriff Medium beschreibt in seiner ursprünglichen Bedeutung ein vermittelndes Element, ein „Mittleres“, ein Hilfsmittel zur Vermittlung von Meinungen, Informationen oder Kulturgütern 12. Diese Definition sagt noch nichts über die Beschaffenheit des Mediums aus, im heutigen Sprachgebrauch sind jedoch meist digitale Medien gemeint. Im Plural verwendet bezeichnet man mit den Medien üblicherweise Massenmedien, egal ob analog oder digital. Soziale Medien dienen als Online-Plattformen dem Austausch und der Vernetzung und werden von ihren Benutzerinnen und Benutzern (vor allem inhaltlich) mitgestaltet. Technologie ist wörtlich die Wissenschaft und Lehre zum Einsatz von Technik, wird heute aber verwendet, um eine Technik an sich zu bezeichnen. Eine Technologie wird erst zu einem Medium, wenn sie für Vermittlungszwecke genutzt wird und Digitalisierung bedeutet die Umwandlung analoger in diskrete Werte, um die automatische Verarbeitung mittels Computern zu ermöglichen 13.

Ziele

Wesentliches Ziel von Medienbildung ist der Auf- und Ausbau von Medienkompetenz. Dieser Begriff geht zurück auf Dieter Baacke, der bereits 1973 erste Überlegungen dazu in seiner Habilitationsschrift anstellte 14 und bis in die 90er Jahre eine inhaltliche und konzeptuelle Definition entwickelte, auf der die meisten der nachfolgenden Konzepte aufbauten 15. Medienkompetenz setzt sich aus vier Dimensionen zusammen: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Mit Medienkritik beschreibt Baacke die Fähigkeit, für ein Vorhaben das passende Medium auszuwählen. Dafür bedarf es eines fundierten Hintergrundwissens über die Entwicklungsbedingungen medialer Phänomene (Medienanalyse), der Fähigkeit, dieses Wissen auf sich selbst und das persönliche Handeln beziehen und anwenden zu können (Reflexion) und ethischen Bewusstseins, um die soziale Tragweite der eigenen Entscheidungen in Hinblick auf die Medienwahl einschätzen zu können. Medienkunde ist das traditionelle Wissen über die Funktionsweise von Medien, sowohl theoretisches (informativ) als auch praktisches (instrumentell-qualifikatorisch). Die Dimension der Mediennutzung setzt sich zusammen aus der Rezeptionskompetenz (rezeptiv-anwendend) zur Verarbeitung und Einordnung von konsumierten Medieninhalten und der eigenen Medienproduktion (interaktives Handeln). In der Mediengestaltung kommen schließlich Aspekte der Partizipationskompetenz hinzu – Mediensysteme können innerhalb ihrer eigenen logischen Grenzen (innovativ) oder sogar darüber hinaus zweckentfremdet weiterentwickelt werden (kreativ) und so auch auf gesellschaftlicher Ebene Wandel bewirken.

An dieser Stelle muss deutlich hervorgehoben werden, dass im gesamten Kontext der Medienbildung dem Konzept der Gestaltung immense Bedeutung zukommt. Mediengestaltung wird üblicherweise verwendet, um die Tätigkeit der inhaltlichen, dramaturgischen, ästhetischen und redaktionellen Konzeption und Organisation von digitalen Produkten und ihrer praktischen Umsetzung zu bezeichnen. Im Kontext von Medienbildung und Medienkompetenz bezeichnet Gestaltung aber (wie im Konzept von Baacke) vor allem die Fähigkeit, mithilfe von Medien gestaltenden Einfluss auf individuelle, gesellschaftliche, kulturelle, politische und technologische Prozesse und Entwicklungen zu üben.

Die englische Bezeichnung media literacy weist starke konzeptuelle Ähnlichkeiten zu Medienkompetenz auf. Oft werden deshalb beide Begriffe synonym verwendet, an anderer Stelle aber auch in gegenseitiger Abgrenzung zueinander. Gerade in den letzten Jahren hat sich eine hohe Anzahl an begrifflichen Varianten entwickelt 16, die es zunehmend erschwert, ohne vorherige Festlegung auf eine bestimmte Definition Missverständnisse auszuschließen.

Zielkomponenten

Als multidimensionales Konstrukt setzt sich Medienkompetenz aus einer Vielzahl von Komponenten (z.B. kognitiven, emotionalen, praktischen, ästhetischen, sozialen, ethischen, moralischen, u.v.m.) zusammen, die zum Teil mit gängigen Methoden schwer bis gar nicht messbar sind 17. Expertinnen und Experten der Europäischen Kommission und der UNESCO haben unabhängig voneinander 36, bzw. 113 Performance-Kriterien von Medienkompetenz identifiziert, also grundsätzlich beobachtet- und somit messbare Indikatoren für Medienkompetenz 18. Da Medienbildung jedoch ein fortlaufender Prozess ist und Medienkompetenz als ihr angestrebtes Resultat ein dynamisches Kontinuum, das sich nicht nur durch jede intentionale und zufällige Konfrontation mit Medienphänomenen verändert 19, sondern auch durch neue Technologien und den daraus resultierenden Wandel der medialen Umwelt, stellen Messungen äußerst flüchtige Momentaufnahmen dar. Im Sinne des lebenslangen Lernens und in Hinblick auf ihre kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung besteht also auch eine starke Wechselwirkung zwischen Medien- und Selbstlernkompetenz.

Sowohl die Europäische Kommission als auch die UNESCO teilen die identifizierten Performance-Kriterien in drei gleichwertige Kategorien, an denen sich auch die schulische Medienbildung orientiert:

Zugang und Nutzung: Schülerinnen und Schüler besitzen die Kompetenz und instrumentelle Fähigkeiten, auf digitale Informationen zuzugreifen. Sie erkennen einen Informationsbedarf, sind fähig, nach Informationen zu suchen, darauf zuzugreifen und sie bei Bedarf erneut abzurufen.

Verstehen und Bewerten: Schülerinnen und Schüler können gefundene Informationen und deren Quellen eigenständig analysieren, kritisch bewerten und beurteilen ob und wie sie zur eigenen Entscheidungsfindung und Meinungsbildung genutzt werden.

Gestaltung und Kommunikation: Schülerinnen und Schüler können Medien selbstbestimmt zur Kommunikation und Kollaboration nutzen. Sie gestalten Medienbotschaften, um Inhalte und eigene Anliegen optimal zu vermitteln und nutzen sie, um an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen. Sie verfolgen kreative Ansätze in der Medienproduktion.

Eine Auflistung der wichtigsten Performance-Kriterien findet sich untenstehend.

Leitlinien

Um Medienkompetenz gezielt zu fördern, empfiehlt sich die Anwendung des Konzepts des Frankfurt-Dreiecks 20. Dieses Konzept beschreibt die drei Seiten eines Dreiecks als unterschiedliche Perspektiven, aus denen ein in der Mitte platziertes mediales oder technologisches Phänomen oder Artefakt betrachtet wird. Jede der drei Perspektiven arbeitet mit den Methoden der Analyse, der Reflexion und der Gestaltung.

Technologisch-mediale Perspektive:

Aus dieser Perspektive werden technologische und mediale Strukturen und Funktionen untersucht. Das bedeutet einerseits, die technischen Funktionsweisen von digitalen Werkzeugen, Artefakten und Phänomenen zu analysieren, aber auch über ihre Produktions- und Entwicklungsbedingungen zu reflektieren (digital bias) – wie beeinflussen neue Technologien durch kulturelle Einschreibungen und die persönliche Perspektive von Entwicklerinnen und Entwicklern die menschliche Wahrnehmung?
Wie werden durch Technologien und Medien soziale und kulturelle Strukturen beeinflusst? Wie verändert sich durch sie das Repertoire an kulturellen Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten? Theoretisches und praktisches Wissen über die Funktionsweise von Technologien und Medien ist einerseits notwendig, um Schülerinnen und Schüler zu befähigen, (mit)gestaltend auf weitere technologische Entwicklung einwirken zu können, andererseits bilden diese Fähigkeiten in einer digital geprägten Welt die Grundlage um gesellschaftlich überhaupt partizipieren zu können.

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive:

Die Verwendung und der Einsatz neuer Technologien werden durch gesellschaftliche Normen und Regeln beeinflusst. Im Gegenzug verändern technologische Entwicklungen auch die Art und Weise der sozialen Kommunikation und Interaktion und die politische Organisation von Gesellschaften. Aus der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive werden Wechselwirkungen zwischen Individuen, Gesellschaft und digitalen Systemen analysiert und reflektiert. Chancen und Risiken der Digitalisierung werden dabei gleichermaßen beleuchtet – digitale Infrastrukturen erhöhen die Möglichkeiten zur Mitgestaltung gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen zwar, die Voraussetzungen für die Nutzung dieser Infrastrukturen steigen aber durch ihre wachsende Komplexität ebenfalls. Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Machtstrukturen, ethischen und rechtlichen Aspekten müssen aus dieser Perspektive bearbeitet werden.

Interaktionsperspektive:

Im Zentrum dieser Perspektive stehen die Menschen und ihre Interaktion mit und durch Medien. Aspekte der Nutzung, Handlung und Subjektivierung werden hier analysiert. Welche Medien werden z.B. für gestalterische, organisatorische oder kommunikative Zwecke genutzt, und wie werden sie im Rahmen von Handlungen in soziale Praktiken integriert? Welche Möglichkeiten und Einschränkungen bieten Medien für die individuelle Identitätsbildung und -entwicklung und welche Menschenbilder konstituieren sich dadurch? Vor dem Hintergrund der technologisch-medialen und der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive wird aus Sicht der Interaktionsperspektive außerdem darüber reflektiert, welche ökonomischen, gesellschaftlichen oder politischen Interessen die konkrete Medienwahl beeinflussen, welche alternativen Nutzungsmöglichkeiten es gibt und wie das eigene Handeln andere beeinflusst.

Grundsätzliche pädagogische Haltung

Lehrende und Schülerinnen und Schüler haben sehr gegensätzliche Arten der Auseinandersetzung mit und Aneignung von Innovationen 21. Um den Aufbau von Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler trotz eigener mangelhafter Kenntnis spezifischer Technologien und Medien unterstützen zu können, bedarf es als Lehrperson daher dreierlei: einerseits der intensiven Beobachtung und aufrichtigen Reflexion des eigenen Medienverhaltens, andererseits eines gestärkten Vertrauens in die Erfahrungen und Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler in diesem Feld und zu guter Letzt der Bereitschaft, eine neue Perspektive auf die eigene Rolle im Bildungsprozess zuzulassen.

Methodik/Didaktik

Als Fortführung des Prinzips der Schülerinnen- und Schülerzentrierten Planung des Unterrichts und der damit verbundenen Orientierung an der Lebenswelt der Lernenden sollen Schülerinnen und Schüler im Kontext der Medienbildung zur aktiven Partizipation ermutigt werden. Die Umbenennung sehr vieler einstiger Erziehungsbereiche zu Bildungsbereichen ist Indiz und Ausdruck eines generellen Umdenkens in der Pädagogik. Der Bildungsbegriff betont die Subjekthaftigkeit der Lernenden, ihre Rolle im Bildungsprozess ist eine wesentlich aktivere: sie können Vorerfahrungen einbringen und übernehmen Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Lernens 22. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das die Entwicklung eigenständiger Handlungs- und Gestaltungskompetenz (Agency 23) und für die Lehrpersonen ein Update ihres beruflichen Selbstverständnisses – nicht mehr die reine Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen steht im Vordergrund, sondern ein Verschränken der eigenen Expertisen mit jenen der Schülerinnen und Schüler.

Blended Learning kombiniert auf didaktisch sinnvolle Weise digitale und analoge Werkzeuge, bzw. synchrones und asynchrones Lernen 24. Als Sonderform des Blended Learning eignet sich Flipped Classroom 25 sehr gut für den Kontext von Medienbildung. Dabei wird die Tradition des schulischen Lernens (Aneignung neuer Inhalte in der Schule, Vertiefung des Verständnisses im Zuge von Hausübungen) einfach umgedreht – Schülerinnen und Schüler erarbeiten neue Inhalte mittels vorbereiteter Materialien der Lehrperson (meist Videos) zuhause und vertiefen und erweitern das Wissen darüber gemeinsam mit dem Rest der Klasse und den Lehrende im Unterricht. Die zur Verfügung gestellten Videos oder Multimedia-Dokumente bieten im Vergleich zur reinen Vorbereitung mit Texten nicht nur den Vorteil, dass z.B. naturwissenschaftliche Phänomene oder gesellschaftspolitische Themen veranschaulicht werden können. Schülerinnen und Schüler können darüber hinaus jederzeit pausieren, Stellen wiederholen und so in ihrem eigenen Tempo arbeiten, ohne dabei den Prozess für andere zu beeinflussen. Im anschließenden Präsenzunterricht findet ein Austausch über das Gelernte statt, anspruchsvollere Aspekte können oft sogar von den Schülerinnen und Schülern untereinander geklärt werden und in der Anwendung des neuen Wissens wird dieses durch nachhaltigere kognitive Prozesse gefestigt. Ältere, bzw. erfahrenere Schülerinnen und Schüler können unter der Voraussetzung, dass die Vertrauenswürdigkeit der verwendeten Quellen geprüft wird, Inhalte auch selbst recherchieren. Eine Fortführung des Flipped Classrooms im Sinne der Stärkung der eigenständigen Handlungs- und Gestaltungskompetenz (Agency) ist die Produktion und Aufbereitung neuer Lernmaterialien und -inhalte für nachfolgende Klassen durch die Schülerinnen und Schüler selbst.

Praktische Projektarbeit bietet Gelegenheit für die Förderung von Kreativität, Kooperations- und Kritikfähigkeit. Teamarbeit und damit verbundene konstruktive, mitunter auch kontroverse Diskussionen stärken die Kommunikationsfähigkeit und Sozialkompetenz der Lernenden. Durch die fächerübergreifende Konzeption von Projekten wird die Betrachtung und Bearbeitung eines Gegenstandes aus verschiedenen Perspektiven und auf unterschiedlichen Ebenen im Sinne des Frankfurt-Dreiecks erleichtert. Für spezielle Themen kann es sinnvoll sein, externe Fachleute aus der Medienproduktion einzuladen.

Verschränkung mit anderen übergreifenden Themen

In allen Schulfächern finden sich Anknüpfungspunkte für Medienbildung. Neben der offensichtlichen Umsetzungsmöglichkeit im Unterrichtsfach Digitale Grundbildung sind hier ganz besonders die Lehrpläne der Fächer Deutsch, Geschichte und politische Bildung und Kunst und Gestaltung/Bildnerische Erziehung hervorzuheben, die mannigfaltige Gelegenheiten für die Förderung von Medienkompetenz bieten. Aufgrund der umfassenden Relevanz von medienbildnerischen Themen bietet sich auch die Verschränkung mit anderen Unterrichtsprinzipien 27 an.

Politische Bildung

Die Verschränkung von Medienbildung und Politischer Bildung fördert demokratische Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler und entspricht dem Ziel des „Council of Europe’s Digital Citizenship Education (DCE) program“ 28, das an der Schnittstelle von Medienbildung, Politischer Bildung und Digitaler Grundbildung junge Bürgerinnen und Bürger befähigt zur sicheren, effektiven, kritischen und verantwortungsvollen Teilnahme in der digitalen Welt.

Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung

Die Auseinandersetzung mit digitalen Kulturen 29 und die Analyse der Repräsentation von Geschlechterrollen in den Medien (z.B. in der Werbung, in Computerspielen, Influencer/innen auf Social Media, u.v.m.) können Möglichkeiten zur kritischen Auseinandersetzung mit Fragen der Gleichstellung und der Reproduktion/Auflösung von Stereotypen geschaffen werden. Auch die ungleiche Repräsentation der Geschlechter und unterschiedlicher Ethnien in technischen Berufsfeldern und ihre weitreichenden Auswirkungen (digital gender and culture biases) auf digitale Entwicklungen und unseren Alltag sind zu reflektieren. Lehrkräfte sind aufgefordert, auf nicht-stereotype Aufgabenverteilungen bei Schülerinnen und Schülern zu achten.

Sexualpädagogik

Die sexualpädagogische Beschäftigung mit Medienphänomenen hat eine fast genauso lange Geschichte wie digitale Medien selbst. Die Entwicklung des Internets veränderte wohl keine andere Branche so nachhaltig wie die der Pornografie und die vermeintliche Anonymität digitaler Räume eröffnete ein neues Experimentierfeld für die menschliche Sexualität. Neben wichtigen Aspekten des Jugendschutzes sind Medien für Jugendliche enorm wichtige Informationsquellen für sexualitätsspezifische Fragestellungen und Handlungsräume, in denen die eigene Sexualität erprobt und geformt werden kann. Lehrende sind unweigerlich mit der sich entwickelnden Sexualität ihrer Schülerinnen und Schüler konfrontiert, ein wertschätzender und urteilsfreier Umgang damit ist Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung.

Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung

Umweltbildung beschäftigt sich unter anderem mit der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen. Energieverbrauch durch die Nutzung digitaler Medien, ökologische und soziale Aspekte beim Erwerb/Entsorgen von digitalen Geräten sind gemeinsame Themen. Auch der Einfluss postfaktischer Kommunikation zu umweltpolitischen Themen wie z.B. „Klimawandel“ oder „Greenwashing“ auf Online-Plattformen kann als übergreifendes Themen angesprochen werden.

Wirtschaftserziehung und Verbraucher/innenbildung

Schülerinnen und Schülern wird der Einfluss von Medien und Werbung auf das eigene wirtschaftliche Denken und Handeln bewusst. Inhaltliche Intersektionen sind z.B. Medien als Wirtschaftsfaktor, (neue) Medien als Berufsfeld und medienethische Fragestellungen.

Kompetenzen der Medienbildung

Medienbildung als fächerübergreifendes Thema soll den altersadäquaten Erwerb der unten aufgelisteten Kompetenzen bis zum Ende der 8. Schulstufe ermöglichen.

Analytische Kompetenzen

Die Schülerin / Der Schüler kann

  • Informationsquellen recherchieren und zitieren.
  • die Wirkung von Medieninhalten analysieren.
  • Gestaltungsmittel von (digitalen) Medienangeboten erkennen und benennen.
  • Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung benennen und verstehen.
  • Medieneinflüsse und Wertvorstellungen erkennen und benennen.
  • zum jeweiligen Thema passende Medienangebote und Informationen auswählen.

Reflexive Kompetenzen

Die Schülerin / Der Schüler kann

  • Informationsquellen und Medieninhalte kritisch vergleichen und bewerten.
  • mediales und kommunikatives Handeln reflektiert wahrnehmen.
  • den eigenen Mediengebrauch reflektieren und gegebenenfalls modifizieren.
  • interessensgeleitete Themensetzung und –verbreitung erkennen und beurteilen
  • die Bedeutung von (digitalen) Medien für die politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung erkennen.
  • Chancen und Risiken des Mediengebrauchs in unterschiedlichen Lebensbereichen erkennen und beurteilen.

Gestaltungskompetenzen

Die Schülerin / Der Schüler kann

  • eigene Wertvorstellungen als Handlungsgrundlage in der medialen Welt entwickeln, reflektieren und nutzen.
  • zum jeweiligen Thema passende Medienangebote und Informationen interaktiv nutzen und mit anderen darüber kommunizieren.
  • selbständig eigene Medienbeiträge und interaktive Anwendungen planen, kreativ gestalten, umsetzen, präsentieren und publizieren und sich als selbstwirksam erleben.
  • medienrechtliche Aspekte benennen, erklären und beachten.
  • eigene Rechte und die Rechte anderer im medialen Handeln beachten.
  • zielgerichtet und offen mit Personen (auch technologieunterstützt) kooperieren.

Anwendung

Der Grundsatzerlass gilt für alle Schulstufen aller Schularten.

Er gilt auch für die im Rahmen der schulischen Tagesbetreuung eingesetzten Erziehenden bzw. Freizeitpädagoginnen und -pädagogen. Inhalte und Zielsetzungen des Grundsatzerlasses sind in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Pädagogischen Hochschulen und anderen Einrichtungen der Lehrendenbildung, der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik sowie der Bildungsanstalten für Sozialpädagogik umzusetzen.

Gültigkeit

Dieser Erlass tritt mit 3. Jänner 2024 in Kraft. Mit dem Inkrafttreten dieses Erlasses tritt der Erlass des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur GZ 48.223/6-B/7/2011, Rundschreiben Nr. 4/2012 außer Kraft.

Wien, 3. Jänner 2024

Der Bundesminister:
ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek


1 Vgl. Negroponte, Nicholas (1998): Being digital. In: WIRED (Hrsg.), New York. Online unter: https://www.wired.com/1998/12/negroponte-55/ [abgerufen am 11.5.2023]

2 Zum Beispiel auf offene Interaktion ausgerichtete Praktiken – vgl. Stalder, Felix (20215): Kultur der Digitalität. Berlin: suhrkamp, 19f

3 Lehrplan „Digitale Grundbildung“, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/II/2022/267/20220706 [abgerufen am 11.5.2023]

4 Vgl. Keine Bildung ohne Medien: Medienpädagogisches Manifest – Addendum 2019. Online unter: https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/medienpaedagogisches-manifest-2019/ [abgerufen am 11.5.2023] und Gesellschaft für Informatik e.V. (Hrsg.): Dagstuhl-Erklärung – Bildung in der digital vernetzten Welt. Online unter: https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung [abgerufen am 11.5.2023]

5 Medienpädagogik beschäftigt sich als Wissenschaft mit der Theorie und Praxis der pädagogischen Bedeutung von Medien. Vgl. Tulodziecki, Gerhard (2011): Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: MedienPädagogik 20 (11. September), 13

6 Vgl. Tulodziecki, Gerhard (2011): Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: MedienPädagogik 20 (11. September), 27f

7 Online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009265 [abgerufen am 11.5.2023]

8 UNESCO (2013): Media and Information Literacy – Policy and Strategy Guidlines. Paris.

9 Europäische Kommission: 2030 Digital Compass – the European way for the Digital Decade. Brüssel, 2021

10 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 19

11 OECD Lernkompass 2030, S. 8. Online unter: https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf [abgerufen am 11.5.2023]

12 Duden (2023). Online unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Medium_Vermittler [abgerufen am 18.5.2023]

13 Vgl. Gesellschaft für Informatik (2019): Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt – Ein transdisziplinäres Modell. Online unter: https://dagstuhl.gi.de/frankfurt-dreieck [abgerufen am 18.5.2023]

14 Vgl. Tulodziecki, Gerhard (2011): Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: MedienPädagogik 20 (11. September), 20

15 Vgl. Baacke, Dieter (2022): Was ist Medienkompetenz? In: Von Gross, Friederike; Röllecke, Renate (Hrsg.): Love, Hate & More. Digitale Teilhabe durch Medienpädagogik ermöglichen. München: kopaed, 137-138

16 Im Anhang der „Policy and Strategy Guidelines“ für Media and Information Literacy der UNESCO finden sich 18 im Kern ähnliche, dennoch leicht unterschiedliche, mehr oder weniger exakt formulierte Definitionen von Media Literacy, Digital Literacy, Media and Information Literacy und Information Literacy.

Vgl. UNESCO (2013): Media and Information Literacy. Policy and Strategy Guidelines. Paris: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. 180-184

17 Vgl. Ptaszek, Grzegorz (2019): Media Literacy Outcomes, Measurement. Online unter: https://www.researchgate.net/publication/332989528_Media_Literacy_Outcomes_Measurement [abgerufen am 18.5.2023]

18 Vgl. Ptaszek, Grzegorz (2019): Media Literacy Outcomes, Measurement. 3. Online unter: https://www.researchgate.net/publication/332989528_Media_Literacy_Outcomes_Measurement [abgerufen am 18.5.2023]

19 Vgl. Früh, Werner (1991): Medienwirkungen: Das dynamisch-transaktionale Modell. Theorie und empirische Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

20 Vgl. Gesellschaft für Informatik (2019): Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt – Ein transdisziplinäres Modell. Online unter: https://dagstuhl.gi.de/frankfurt-dreieck [abgerufen am 19.5.2023]

21 Vgl. Elkasti, Houssam and Lavicza, Zsolt: Developing an innovation pyramid framework to reflect on the digitalization of mathematics education. In: Hans-Georg Weigand, Ana Donevska-Todorova, Eleonora Faggiano, Paola Iannone, Janka Medová, et al. (2022): MEDA3 Mathematics Education in Digital Age 3. Proceedings of the 13th ERME Topic Conference (ETC13) held on 7 – 9 September 2022 in Nitra, Slovakia. 137f

22 Vgl. OECD Lernkompass 2030, S. 16f. Online unter: https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf [abgerufen am 11.5.2023]

23 OECD Lernkompass 2030, S. 20. Online unter: https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf [abgerufen am 11.5.2023]

24 Europäische Kommission (2021): A framework for Blended Learning. Online unter: https://www.schooleducationgateway.eu/downloads/files/news/framework_for_blended_learning.pdf [abgerufen am 19.5.2023]

25 Weiterführende Informationen und konkrete fachspezifische Beispiele für die didaktische Aufbereitung von Inhalten nach dem Konzept des Flipped Classroom werden auf der Website von Flipped Classroom Austria zur Verfügung gestellt: http://www.flipped-classroom-austria.at/ [abgerufen am 19.5.2023]

26 Themen des Datenschutzes, der Datensicherheit und Produktion digitaler Medien betreffen sowohl die informatische als auch die Medienbildung. Reflektierte, kritische Mediennutzung erfordert Basiswissen über Informationsbeschaffung, Funktionsweisen von Technologien, digitale Kommunikation und Kooperation.

27 Eine vollständige Auflistung und Beschreibung der Unterrichtsprinzipien ist online unter https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/prinz.html zu finden [abgerufen am 20.5.2023]

28 Online unter: https://www.coe.int/en/web/digital-citizenship-education/home [abgerufen am 20.5.2023]

29 Vgl. Stalder, Felix (20215): Kultur der Digitalität. Berlin: suhrkamp, 9f.

Zugeordnete/s Sachgebiet/e

Unterrichtsprinzipien