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Ausser Kraft getreten

Grundsatzerlaß "Politische Bildung in den Schulen". Wiederverlautbarung 1994

Außer Kraft getreten und ersetzt durch Rundschreiben Nr. 12/2015 ; BMBF-33.466/0029-I/6/2015 ; Unterrichtsprinzip Politische Bildung, Grundsatzerlass 2015

Ergänzt durch Rundschreiben Nr. 47/1995 ; GZ 33.466/317-V/B/95 ; Terrorismus und Extremismus

GZ 33.466/103-V/4a/94
Sachbearbeiterin:
GL MR Mag. Elisabeth Morawek
Tel.: 0222/53120-4438

Rundschreiben Nr. 15/1994 (BMBWF)

Verteiler: VII, N
Sachgebiet: Unterrichtsprinzipien
Inhalt: Politische Bildung
Geltung: unbefristet

An die Landesschulräte
den Stadtschulrat für Wien
die Zentrallehranstalten
die Pädagogischen und Berufspädagogischen Akademien
die Pädagogischen Institute

Hiermit erfolgt eine unveränderte Wiederverlautbarung des erstmals unter GZ 33.464/6-19a/1978 vom 21. August 1978 ergangenen Rundschreibens.

I. Grundsätzliches

Die österreichische Schule kann die umfassende Aufgabe, wie sie ihr im § 2 des Schulorganisationsgesetzes gestellt ist, nur erfüllen, wenn sie die Politische Bildung der Schuljugend entsprechend berücksichtigt. Politische Bildung ist eine Voraussetzung sowohl für die persönliche Entfaltung des einzelnen wie für die Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Ganzen. Sie ist in einer Zeit, die durch zunehmende Kompliziertheit in allen Lebensbereichen gekennzeichnet ist, ein aktiver Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft und zur Verwirklichung der Demokratie. Wesentliche Anliegen der Politischen Bildung sind die Erziehung zu einem demokratisch fundierten Österreichbewußtsein, zu einem gesamteuropäischen Denken und zu einer Weltoffenheit, die vom Verständnis für die existentiellen Probleme der Menschheit getragen ist.

Politische Bildung ist einem Demokratieverständnis verpflichtet, das in der Anerkennung legitimer Herrschaft und Autorität keinen Widerspruch zur postulierten Identität von Regierenden und Regierten sieht.

Im Mittelpunkt steht aber die Frage, wodurch Herrschaft und Autorität von der Gesellschaft als rechtmäßig anerkannt werden: in einem demokratischen Gemeinwesen wird unabänderliches Merkmal sein, daß Autorität und Herrschaft aus der Quelle der freien Bestellung, der freien Kontrolle und der freien Abrufbarkeit durch die Regierten bzw. durch die von diesen eingesetzten Organe geschöpft werden. Dabei wird ein demokratisches Regierungssystem umso erfolgreicher arbeiten können, je mehr der Gedanke der Demokratie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft anerkannt wird.
Politische Bildung in den Schulen wird davon auszugehen haben, daß die politische Sphäre im Zeichen von Wertvorstellungen steht. Friede, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sind Grundwerte, auf denen jede menschliche Gesamtordnung und somit jedes politische Handeln beruhen muß. Dabei muß aber bewußt bleiben, daß diese Grundwerte oft in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen und daß auch bei gleichen ideellen Ausgangsvorstellungen verschiedene Auffassungen über die Verwirklichung dieser Ideen in einer bestimmten Situation bestehen können.

Politische Bildung vollzieht sich - auf der Grundlage der obengenannten Wertvorstellungen - in drei Bereichen, die einander wechselseitig bedingen:

  1. Politische Bildung ist Vermittlung von Wissen und Kenntnissen: Der Schüler soll einen Einblick in die Ordnungen und die verschiedenen Ausformungen des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens gewinnen. Er soll Sachinformationen über die historischen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen dieser Ordnungen erhalten und die in ihnen wirkenden Kräfte und Interessen erkennen.
  2. Politische Bildung ist Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten:
    Der Schüler soll die Fähigkeit zum Erkennen von politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen und zu kritischem Urteil gewinnen. Die Einsicht in die einzelnen Faktoren gesellschaftspolitischer Entscheidungsfindung (die Träger von gesellschaftlicher, insbesondere von politischer Verantwortung, ihre Ziel- und Wertvorstellungen, ihre Interessen; die Entscheidungs- und Handlungsabläufe; die Machtverteilung) soll die Grundlage zu einer eigenen Meinungsbildung sein, um die persönliche Aufgabe bei der Gestaltung unserer Gesellschaft wahrnehmen zu können.
  3. Politische Bildung ist Weckung von Bereitschaft zu verantwortungsbewußtem Handeln:
    Politische Bildung will die Bereitschaft des Schülers wecken und fördern, politische Vorgänge aktiv mitzugestalten. Der Schüler soll bereit sein, Entscheidungen, die er nach eigenständigen Wertauffassungen getroffen hat - gegebenenfalls auch unter Belastung und unter Hintansetzung persönlicher Interessen - in politisch verantwortungsbewußtes Handeln umzusetzen.

Der Auftrag zu Politischer Bildung wendet sich an alle Lehrer und bedeutet, daß Politische Bildung als Unterrichtsprinzip im Rahmen der durch Schulart, Schulstufe und Unterrichtsgegenstand gegebenen Möglichkeiten im Sinne der in Teil II angegebenen Zielvorstellungen wirksam wird. Dabei sind die Chancen, die sich durch den fachlichen Auftrag des Lehrers ergeben, ebenso zu nützen wie jene, die sich von der pädagogischen Funktion her anbieten. Ein planvolles Zusammenwirken aller Lehrer ist anzustreben.

II. Nähere Umschreibung des Unterrichtsprinzips Politische Bildung

Das Unterrichtsprinzip Politische Bildung strebt im Rahmen der Lehrplaninhalte folgende Ziele an:

  1. Politische Bildung soll den Schüler befähigen, gesellschaftliche Strukturen in ihrer Art und ihrer Bedingtheit zu erkennen (Interessen, Normen, Wertvorstellungen; Herrschaft, Macht, Machtverteilung; politische Institutionen).
  2. Politische Bildung soll die Überzeugung wecken, daß Demokratie sich nicht in einem innerlich unbeteiligten Einhalten ihrer Spielregeln erschöpft, sondern ein hohes Maß an Engagement erfordert; das sollte zur Bereitschaft führen, gemeinsam mit anderen oder allein alle Möglichkeiten realisierbarer Mitbestimmung im demokratischen Willensbildungsprozeß verantwortungsbewußt zu nützen.
    Es soll auf eine "Politisierung" im Sinne eines Erkennens von Möglichkeiten hingearbeitet werden, am politischen Leben teilzunehmen, um die eigenen Interessen, die Anliegen anderer und die Belange des Gemeinwohls legitim zu vertreten.
  3. Politische Bildung soll das Denken in politischen Alternativen schulen und dabei zu einer toleranten Einstellung gegenüber politisch Andersdenkenden führen.
    Dem Schüler soll bewußt werden, daß in einem demokratischen Gemeinwesen bei der Durchsetzung legitimer Interessen oft Zivilcourage nötig ist und daß Mehrheitsentscheidungen anzuerkennen sind, soferne sie in demokratischer Weise erfolgten und den Grundsätzen der Allgemeinen Menschenrechte entsprechen.
  4. Politische Bildung soll das Verständnis des Schülers für die Aufgaben der Umfassenden Landesverteidigung im Dienste der Erhaltung der demokratischen Freiheiten, der Verfassungs- und Rechtsordnung, der Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit unserer Republik wecken.
    Auf den defensiven Charakter unserer Landesverteidigung und auf Fragen der zivilen Schutzvorkehrungen und wirtschaftlichen Vorsorgemaßnahmen soll dabei besonders eingegangen werden.
  5. Politische Bildung soll die Fähigkeit und Bereitschaft fördern, für unantastbare Grundwerte, wie Freiheit und Menschenwürde, einzutreten, Vorurteile abzubauen und sich auch für die Belange Benachteiligter einzusetzen; sie soll die Einsicht vermitteln, daß das Herbeiführen einer gerechten Friedensordnung für das Überleben der Menschheit notwendig ist; sie soll ein klares Bewußtsein dafür schaffen, daß die Erreichung dieses Zieles weltweit den Einsatz aller Kräfte erfordert und als persönliche Verpflichtung eines jeden Menschen aufgefaßt werden muß.

III. Grundlegende Hinweise für die Gestaltung des Unterrichts

Für das Unterrichtsprinzip Politische Bildung ist die Vorstellung maßgebend, daß Lernen auf Erfahrung und Einsicht beruht und Erkennen und Wissen in Beziehung zu einer möglichen Aktivität stehen. Daher wird die Vermittlung von Lerninhalten durch eine Förderung des Erlebens demokratischer Einstellungen und Verhaltensweisen zu ergänzen sein. In diesem Sinne sollen die Schüler die Möglichkeiten zu selbständiger, verantwortungsbewußter Tätigkeit, wie sie unter anderem im Rahmen des Schulunterrichtsgesetzes vorgesehen sind, nützen.

Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Politische Bildung liegt in den sozialen Erfahrungen der Schüler. Daher werden Lernprozesse vor allem beim Erfahrungsbereich des Schülers anzusetzen haben.

Erzieherischer Grundsatz muß es sein, daß bei Stellungnahmen und Wertungen stets auch abweichende Meinungen aufgezeigt werden im Hinblick darauf, daß in der Demokratie auch verschiedene Wertvorstellungen und Meinungen nebeneinander bestehen können, sofern sie den für unsere Gesellschaft gültigen Grundwerten verpflichtet sind bzw. diese nicht verletzen. Gegensätzliche Interessen sollen offen dargestellt und unterschiedliche Auffassungen im Dialog ausgetragen werden, zumal das Gespräch eine wichtige Voraussetzung dafür ist, einen Konsens zu finden oder einen Kompromiß zu erzielen. Diese Art der Unterrichtsführung und des Erziehens stellt hohe Ansprüche an das fachliche und pädagogische Können und an die Einsatzfreude des Lehrers sowie an seine Fähigkeit, auf den Schüler in partnerschaftlicher Weise einzugehen. Der Lehrer wird Politische Bildung (gerade angesichts der oft starken Bindungen zwischen Lehrer und Schüler) keinesfalls zum Anlaß einer Werbung für seine persönlichen Ansichten und politischen Auffassungen machen. Erfordert es die Situation, daß der Lehrer seine persönlichen Ansichten darlegt, so wird er streng darauf zu achten haben, daß durch seine Stellungnahme abweichende Meinungen nicht diskreditiert werden und daß die Schüler eine kritisch-abwägende Distanz zu dieser persönlichen Stellungnahme des Lehrers aufrechterhalten können.

Die Beachtung des Unterrichtsprinzips Politische Bildung bedeutet somit eine anspruchsvolle Herausforderung an alle Fähigkeiten des Lehrers, sie stellt aber ebenso an den Schüler hohe Ansprüche.

Vom Schüler muß verlangt werden, daß er an der Sicherung des Unterrichtsprinzips Politische Bildung im Rahmen jener Möglichkeiten mitwirkt, die vor allem das Schulunterrichtsgesetz eröffnet.

Erfolgreich wird die Politische Bildung an den Schulen besonders dann sein, wenn auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern (in Schulgemeinschaftsausschüssen, bei Elternabenden, in Elternvereinen) von beiden Seiten genützt werden; dies gilt gerade im Hinblick auf die Hauptverantwortung der Eltern für die gesamte Erziehung.

Das Zusammenwirken von Lehrern, Schülern und Eltern wird die besten Voraussetzungen dafür schaffen, daß die österreichische Schule ihren Beitrag zur Mitgestaltung der politischen Kultur unseres Landes leisten kann.

Wien, 9. März 1994

Der Bundesminister:
Dr. Scholten

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